In den letzten Jahrzehnten hat sich für die sogenannte ‘Raubkopierer’-Szene ein ganz besonderer Mensch als Vertreter der Gegenseite herauskristalisiert. Freiherr von Gravenreuth war schon in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts der Staranwalt der Urheberrechts-Industrie, die schon zu Zeiten des C64 ihre Umsätze durch die bösen Raubkopierer bedroht sahen.
Ich erinnere mich noch an Artikel aus der damaligen ASM (“Aktueller Softwaremarkt”, damals das Fachblatt für verspielte Computer-Besitzer) in denen unter anderem zu lesen war, wie von Gravenreuth und seine Kanzlei erfolgreich über Tauschbörsen-Anzeigen unter dem Namen “Tanja Nolte” und ähnlichen Pseudonymen Fallen für tauschwillige Schüler aufstellte. Es war auch zu lesen, wie sich von Gravenreuth auf sogenannten Copy-Partys einfand und dort nicht nur auf Ablehnung stieß.
Er war auch in den Jahrzehnten danach den Schülern von damals ein fester Begriff für die Verfolgung von Urheberrechts-Verstößen und hatte unter seinen Kunden bedeutende Namen. Wer einen Namen hatte, wandte sich an seine Kanzlei um Hilfe und das nicht ohne Grund – war er doch derjenige der die meiste Erfahrung mit all diesen Sachen hatte. Natürlich mischte er auch in der aufkeimenden Abmahn-Industrie mit und nicht zuletzt wurde genau dort aber auch klar, dass der strahlende Ritter unter dem weißen Klarlack seiner Rüstung mittlerweile einige Rostflecken verbarg. Das wurde spätestens dann klar, als er sich – in Folge einer angeblich unerwiderten Abmahnung – widerrechtlich, weil unter Vortäuschung falscher Tatsachen, die Domain eines traditionsreichen Medien-Unternehmens überschreiben lies.
Letztes Jahr habe ich schon mal über ihn geschrieben – von der grünen Welle im heise.de-Forum war die Rede. Und davon, dass er für diverse Straftaten endgültig ins Gefängnis sollte.
Vielleicht war der seelische Druck zu hoch, vielleicht hatte er sich aber auch in eine Lage manövriert in der er keinen Ausweg mehr sah. Der weiße Ritter ist nicht mehr. Er hat sich das Leben genommen. Vermutlich mit einer Kugel durch den Kopf.
Möge er in Frieden ruhen.
Stellvertretend für einen von vielen Kommentaren im heise.de-Forum in dem von Gravenreuth immer schon seine Gegnerschaft sehen durfte, möchte ich diesen hier zitieren, weil ich mich ihm inhaltlich voll anschließen kann (Quelle):
Skaven, Skaven-box@gmx.net (514 Beiträge seit 26.02.00)
Mir persönlich tut es doch leid, daß er sich umgebracht hat. Er war
eine Art ‘Lieblingsfeind’ für mich. Zudem spüre ich ein minimal
schlechtes Gewissen… haben ‘wir’, also seine Kritiker und Gegner,
ihn auch in den Selbstmord getrieben?Gravenreuth gab es schon, als ich noch klein war. Er war für mich
eine Person der Zeitgeschichte und symbolisierte für mich “Zu Geld
kommen, indem man Gesetze ausnutzt” – ein Verhalten, das ich als
unmoralisch betrachte und noch nie leiden konnte. Aber jedes mal wenn
jetzt jemand stirbt, der oder die “schon immer da war”, wie zB auch
Michael Jackson (den ich auch nicht besonders mochte), dann reagiere
ich geschockt. Denn es bedeutet, die Welt, die ich kenne, wird ein
Stück mehr zu einer Welt, die ich nicht mehr kenne… die
Vertrautheit wird weniger. Selbst wenn doch “nur” der FvG abgetreten
ist.Nein, ich werde nicht schlecht über ihn reden oder auf ihm
herumtrampeln – das schickt sich einfach nicht. Zu Lebzeiten hat er
aber schon einiges an Mist gebaut, das werde ich auch nicht
vergessen. Trotzdem tut es mir leid, viel mehr als ich dachte.Ruhe in Frieden, FvG.